Der Tod der Zarenfamilie
Es sei bemerkt, dass der Zar und seine Familie überhaupt nicht nach einem Prozess hingerichtet wurden, sondern im Geheimen und herzlos ermordet und ihre Ermordung wurde erst sehr viel später enthüllt. Abgesehen davon würde kein echtes Gericht die Ehefrau und die minderjährigen Kinder eines Kaisers, egal wie „böse“ er selber war, zum Tode verurteilen.
Auch sei bemerkt,
dass Nikolai im März 1917 auf den Thron verzichtet hatte, nach dem blutigen Aufstand im Februar desselben Jahres, und er verzichtete auch auf das Recht, dass ihm sein Sohn und rechtmäßiger Erbe Alexei auf dem Thron folgte, denn der Prinz war krank und konnte nicht von seiner Familie getrennt überleben. Somit bestimmte er als nächsten Zaren seinen Bruder, den Großherzog Michail Alexandrowitsch (der nicht annahm) und schrieb unter anderem:
„
…In diesen so kritischen Stunden für Russland, dachten wir es sei unsere gewissenhafte Pflicht, eine Vereinigung aller nationaler Kräfte mit dem Ziel des schnellen Sieges (Anm. d. Ü.: gemeint ist im Ersten Weltkrieg) zu erreichen. In Übereinstimmung mit der Kaiserlichen Duma dachten wir sehr gründlich darüber nach, auf den Thron des Russischen Reiches zu verzichten. Zumal wir es nicht wünschen, uns von unserem geliebten Sohn zu trennen, übertragen wir die Macht an unseren Bruder, den Großherzog Michail Alexandrowitsch und geben ihm unseren Segen den Thron des Russischen Reiches zu besteigen. Unsere Anweisung an ihn ist es sich um die Staatsangelegenheiten zu kümmern in vollkommener Harmonie mit den Volksvertretern mittels der gesetzgebenden Organe und gemäß derjenigen Prinzipien, die durch das Volk bestimmt werden und auf welche unser Bruder einen unverletzbaren Eid schwören wird."
Zar Nikolai wurde also nicht ermordet weil er „ein Verbrecher“ war, denn wäre dies die Denkweise seiner Henker, wäre ihm der Prozess gemacht worden und er wäre durch ein ehrbares Gericht zum Tode verurteilt worden; wobei er natürlich auch das Recht auf Verteidigung gehabt hätte. Er wurde ermordet, weil er das
Symbol der Einheit der orthodoxen Russen war, ihr Regent, der – bliebe er am Leben – ihnen Präsenz den Mut und die Vision der Befreiung von den unmenschlichen Verfolgungen des neuen Regimes hätte geben können.
Diese orthodoxe Russen waren keinerlei Plutokraten, Feudarchen und ihre Handlanger, oder irgendwelche Faschisten, sondern Million einfacher Leute, arm, aber gläubige Christen, die durch das zaristische Regime zwar nicht begünstigt oder privilegiert waren, aber die sich im neuen Regime überhaupt nicht frei fühlten. Sie widersetzten sich, und aus ihren Reihen gingen in den nächsten Jahrzehnten
die unzähligen russischen Neumärtyrer des 20. Jahrhunderts hervor.
Gleichermaßen wurden die Gattin und die Kinder des Zaren ermordet, da – blieben sie am Leben – die orthodoxen Russen sowohl in Russland (wo sie sich verstecken mussten) wie auch in der Diaspora (wo sie zu Tausenden flüchteten), weiterhin fühlen würden, dass sie Regenten hätten und das Regime wäre in Gefahr. Somit wäre der Plan des Widersachers, die Orthodoxie in Russland auszumerzen (ein Plan, dem die Bolschewisten mit ihren blutigen Verfolgungen der Christen naiverweise dienten – vielleicht sogar unwillentlich, weil sie tatsächlich glaubten, sie würden dem Volk dienen). Deshalb wurden auch die Mitglieder ihres Personals umgebracht sowie alle Mitglieder der Zarenfamilie, deren man habbar werden konnte, verhaftet und getötet, so z.B. die Heilige Neumärtyrerin Elisabet Fjodorowna, Schwester der Zarin und Gattin des Großherzogs Sergius Romanov (der 1905 mit einer Bombe ermordet wurde), Onkel des Zaren. Und das trotz der Tatsache, dass die demütige und sensible Heilige Elisabet, die Nonne war, mit dem armen Volk zusammen litt und mit dem Kloster-Krankenhaus, das sie zu Ehren der Hll. Martha und Maria gegründet hatte, Moskau ein gigantisches philanthropisches Werk schenkte.
Das ist der Grund, warum die Russen denken, dass die Zarenfamilie wegen des orthodoxen Glaubens und nicht aus politischen Gründen ermordet wurde: damit es keine Führung geben konnte, die die orthodoxen Russen stützen und beseelen konnte. Es handelt sich also um eine religiös motivierte Ermordung, eine Ermordung wegen der Eigenschaften der Opfer als Führer eines orthodoxen Volkes. Und gemäß dieser Denkweise ist die Zarenfamilie eine Familie von Neumärtyrern.
Dies führt auch der Vorsitzende der ROKA, der Hl. Filaret († 1985) im Schreiben der Heiligsprechung an: „
...Wir dürfen nicht vergessen, dass die kommunistischen Verbrecher duch die Tötung der Zarenfamilie darauf abzielten, das Gedächtnis selbst, wie Russland in so vielen Jahrhunderten seiner Existenz gelebt hat, auszuwischen. Sie versuchten jenen strahlenden Geist des russischen Volkes, der im Heiligen Orthodoxen Russland vorherrschte, abzulösen, zu vernichten, zu entwurzeln – den Geist einer orthodoxen Lebensweise, und an seiner statt den gräßlichen Geist der Gottesbekämpfung (Theomachie) und des brudertötenden Kommunismus einzupflanzen. Die verbrecherische Ermordung der Zarenfamilie war nicht nur eine Tat des Hasses und der Rache. Es war nicht nur eine Tat der politischen Revanche, aber es war hauptsächlich eine geistliche Tat, die auf die Auslöschung der Orthodoxie des russischen Volkes abzielte und ihrer Ersetzung durch den perversen und bösen kommunistischen Geist.[…]“
Wir sollten nicht übersehen, dass die Russen das königliche Amt viel mehr im Kirchenleben integriert sahen als z.B. die Byzantiner. Das verstärkt vielleicht das Gefühl, dass ein Regent des Orthodoxen Russlands ermordet wurde und nicht einfach ein Staatsoberhaupt, so sehr, dass wir (Nichtrussen) das gar nicht nachempfinden können. Es ist kein Zufall, dass die Zaren genau wie die Priester im Altarraum kommunizierten, und nicht außerhalb wie z.B. der byzantinische Kaiser. Deshalb konnte z.B. der Hl. Johannes Maximowitsch ehrlich und ohne zu politisieren behaupten das der „von Gott Gesalbte“ ermordet wurde und dass die atheistischen Mächte gegen die königliche Krone aufwiegelten, die mit dem Kreuze geschmückt ist, um die Beziehung zwischen der Königsmacht und dem Kreuz auszudrücken (das Kreuz als Symbol der Selbstaufopferung)
Wir dürfen uns nicht irreführen lassen. Das oben genannte bedeutet nämlich überhaupt nicht, dass jedem Zar die Macht vom russischen Volk oder der russischen Kirche als Blankoscheck zum unmenschlichen und unmoralischen Handeln gegeben wurde, weil er „von Gott gesalbt ist“. Ganz im Gegenteil, diese besondere christliche Eigenschaft der kaiserlichen Institution verstärkt die Verantwortung des Zaren nach christlichem Ethos zu handeln. Niemand behauptete „der Zar war ein Lump, aber er ist heilig weil er ein König war und getötet wurde“. Alle Berichte über seine Heiligkeit, auch innerhalb der Prophezeiungen (siehe weiter unten), betonen, dass es sich bei ihm um einen Menschen mit reiner Seele handelte, und dass er sich um sein Volk kümmerte. „Der, der seine ganze Kraft widmet, um Russland im Namen Gottes zu dienen“ (Hl. Johannes Maximowitsch). Wäre dies nicht der Eindruck der orthodoxen Russen bezüglich des Ethos Nikolai des II, dann können wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass ihm die Anerkennung eines Heiligen nicht gezollt worden wäre.
Wir müssen hier auch berichten, dass das Moskauer Patriarchat die Zarenfamilie als „
Leidensträger“ (passion bearers, Pathophoren) bezeichnet hat, und nicht als Märtyrer. Das bedeutet, dass sie aufgrund ihres orthodoxen Glaubens gestorben sind, aber nicht weil sie es ablehnten ihrem Glauben abzuschwören, wie es bei den Märtyrern passiert ist. Diese Bezeichnung tragen auch andere russische Heilige, wie
die Prinzen Boris und Gleb, die sich 1015 freiwillig ihrem Bruder Swjatopolk ergaben, wissend dass sie sterben würden. Sie ergaben sich, weil sie es als mit ihrem christlichem Glauben nicht vereinbar sahen, von ihren Soldaten ihre persönliche Verteidigung zu verlangen.
Wer die davon ausgeht, dass Geschichte der Menschheit im Grunde politisch, gesellschaftlich oder wirtschaftlich sei, wird sicherlich nicht mit oben erwähnter Denkweise übereinstimmen.
Das macht aber nichts aus. Sinn des Artikels ist es nicht, dass der Leser zustimmt, sondern dass er versteht!