Hallo Nassos,
na klar, gerne doch. Ich will mir allerdings nicht anmaßen die Worte Prof. Krieles in 3-4 Sätzen zusammenzufassen, daher stelle ich das erste Kapitel einfach mal hier rein als "Leseprobe" - Mit Kaffee bewaffnen und los...
1. Kapitel
Wissenschaft contra Glauben?
Szientismus ist nicht Wissenschaft
Die methodische Ausgangsfrage der modernen Wissenschaft war: Was können wir über die Beschaffenheit der Welt erkennen, wenn wir einmal von allen religiösen und metaphysischen Annahmen absehen? Was läßt sich empirisch beweisen oder widerlegen und ist deshalb für jeden Menschen einsichtig, Intelligenz und Vorbildung vorausgesetzt? Dieser methodische Ansatz führte zu eindrucksvollen Erkenntnissen und erzwang die Revision antiker und mittelalterlicher Weltvorstellungen.
Aber davon unberührt blieb die Frage: Wie ist die Welt beschaffen, wenn wir nicht von allen religiösen und metaphysischen Fragen absehen, sondern uns auch der jenseitigen, himmlischen Wlet in der ihr adaequaten Weise zuwenden? Und wie können wir etwas darüber erfahren?
Diese Frage schließt die Akzeptanz naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden nicht aus - im Gegenteil: Erkenntnisse über die Natur können unmöglich im Widerspruch zum Gottesglauben stehen. Heute ist das zumindest bei den Großkirchen im Wesentlichen anerkannt. Denn für sie ist die Natur ja Gottes Schöpfung, also sind Naturerkenntnisse zugleich eine Bereicherung der Gotteserkenntnis. In den biblischen Texten sind die Offenbarungsberichte mit antiken Weltvorstellungen vermengt, die sich als unhaltbar erwiesen haben. Mit dieser Einsicht hat man sich oft schwer getan. Die amerikanischen Fundamentalisten tun das noch heute. Doch was wissenschaftlich widerlegt ist, kann nicht wahr sein.
Die Astronomie hat uns die Einsicht in die unermeßliche Weite des Raums und der Zeit vor Augen gestellt. Das stellt Gott nicht in Frage, sondern bringt uns erst seine Größe zum Bewußtsein. Sie macht Gott nicht kleiner, sondern größer.
…
Entsprechendes gilt für andere Wissensgebiete. Z. B. hat die Hirnforschung nichts prinzipiell Neues gebracht. Seit der Arzt und Anatom Alkmaion, der Freund und Schüler Pythagoras, die Funktion des Gehirn entdeckte, ist das Prinzipielle schon bekannt, die moderne Forschung hat es nur im Einzelnen ausgefächert und belegt. SIe macht genaue Angaben darüber, an welchen Stellen des Gehirns die sinnliche Wahrnehmung, as Herausfiltern des Relevanten, die Erinnerung, die Orientierung usw. ihren Ort haben.
Zur Konfrontation zwischen Wissenschaft und Gottesglaube kommt es nur, wenn Gläubige den Naturerkenntnissen die Anerkennung verweigern oder wenn Szientisten aus den Naturerkenntnissen überschießende weltbildliche Folgerungen ziehen, die sich aus ihnen gar nicht ergeben. Dann steht der Glaube nicht mit der Wissenschaft im Konflikt, sondern mit philosophischen Schlußfolgerungen. Szientismus ist nicht Wissenschaft, sondern Philosophie, und zwar eine schwache, wenig durchdachte Philosophie, die schlichte Artikulation einer schlichten Weltanschauung.
Vor allem fordern uns die szientistischen "Philosophen" auf, zu glauben: Die in der Evolution sich selbst organisierende Materie habe alles Geistige hervorgebracht einschließlich Kultur und Religion, die Philosophie Platons und Kants, die Werke Shakespears und Goethes, Bachs und Beethovens, die Ich-Erfahrung des Menschen und die Wissenschaft, die dies alles als Hervorbringung der Materie erkennt.
Diese Zumutung an den Verstand beruht nicht auf wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern ist eine weltanschauliche Annahme. Sie wird zwar durch allerlei Argumente gestützt, die sie aber gar nicht beweisen, sondern voraussetzen. Die Prämisse ist stets: Die Welt sei gottlos, das Leben sinnlos.
Ausgehend von dieser Prämisse sucht man sich zu erklären, warum sich so viele Menschen über diese Prämisse hinwegsetzen. Die Erklärungsversuche variieren vor allem drei Grundmuster:
1. Die Prämisse sei nicht begründungsbedürftig, sondern selbstverständlich. Der Gegner habe zu beweisen, dass könne aber nicht gelingen, weil der Beweis nur wissenschaftlich erbracht werden könne.
2. Es sei psychologisch erklärbar, wieso viele Menschen die Religion ernst nehmen: Sie hielten z. B. die Sterblichkeit nicht aus, suchten Trost im irdischen Jammertal, projizierten ihre wünsche auf die Himmelsscheibe, bedürften der Unterordnung unter Dogmen und Autoritäten, seien psychisch instabil, neurotisch-infantil, nicht wirklich erwachsen geworden. Oder in wohlwollender Variante: Religion diene der Kontingenzbewältigung, d.h. der psychischen Verarbeitung der uns zufällig vorgegebenen Umstände.
3. Wer sich heute noch religiös orientiere, befinde sich nicht auf der Höhe der Zeit, sei wissenschaftlich ungebildet und irrational. Er falle aus dem Konsens der Moderne heraus.
So wie man früher dem Glauben durch sozialen Isolationsdruck nachgeholfen hat, so heute der szientistischen Weltanschauung. Auf dieser Grundlage hat sich in der Neuzeit die Annahme verbreitet, zwischen Religion einerseits und Wissenschaft und Aufklärung andererseits bestünde ein unüberbrückbarer Gegensatz, ein Konkurrenzverhältnis, in dem sich nur die eine oder andere Seite behaupten könne: Entweder - Oder. In Wirklichkeit besteht ein Komplementarverhältnis: Sowohl als auch.
Ein vernünftig durchdachter Gottesglaube hat keinerlei Probleme mit den Erkenntnissen der Wissenschaft, sondern nur mit der szientistischen Weltanschauung.
2. Beispiel: Richard Dawkins, Der Gotteswahn
Worin der Unterschied zwischen Wissenschaft und szientistischer Weltanschauung besteht, läßt sich am besten durch ein Beispiel anschaulich machen. Dafür bietet sich Richard Dawkins Buch "Der Gotteswahn" (2007) an. Hier finden wir die wesentlichen Elemente der szientistischen Weltanschauung, die uns sonst diffus an verstreuten Orten und wenig greifbar begegnen, sehr hübsch zusammengestellt, und zwar in einem Band, der bei den Szientisten hohe Anerkennung genießt und auf den wir uns deshalb konkret beziehen können.
In seinen Ankündigungen wurde uns versprochen, der Evolutionsbiologe Dawkins werden den Beweis führen, daß der Gottesglaube mit der Evolutionslehre tatsächlich unvereinbar ist. Diesen beweis führt er a) mit wissenschaftlichen Argumenten, b) mit den philosophischen Argumenten die für die szientistische Weltanschauung charakteristisch sind.
a) Dem wissenschaftlichen Beweis ist das 4. Kapitel gewidmet. Die These ist, kurz zusammengefaßt: Die Evolution erklärt sich durch die natürliche Selektion, die das Unbrauchbare aussortiert, aber das schon halbwegs Brauchbare weiter vererbt. In langen Zeiträumen gibt es eine ununterbrochene Steigerung der Nützlichkeit durch zahllose kleine aufeinanderfolgende Modifikationen. Dazu bedarf es keiner Eingriffe Gottes, es bedarf aber unserer Bewußtseinserweiterung, um es einzusehen. Überraschend ist nur die Schlußfolgerung: "Wenn man die Argumentation dieses Kapitels anerkennt, ist die Grundvoraussetzung aller Religion - die Gotteshypothese - nicht mehr haltbar. Gott existiert mit ziemlicher Sicherheit nicht.
Sie ist deshalb überraschend, weil die Selektion nie ein Problem war. Die Frage war doch: Wie kommt es zu den Mutationen, von denen sich einige als so zweckmäßig erweisen? Hoimar v. Ditfurth erläuterte das Problem u.a. am Beispiel des indischen Schmetterlings "Kaiseratlas": Dessen Raupe knabbert in ihrem Puppenstadium das Blatt eines Baumes an, so daß es trocknet und sich zusammenrollt. Zuvor spinnt sie das Blatt am Zweig fest, so daß es nicht herunterfällt. Ehe sie in die Blattröhre hineinkriecht, wiederholt sie den Vorgang mit mehreren Blättern, so daß die Futter suchenden Vögel auf Nieten treffen und aufgeben. Sie hat aber kein Gehirn, das so komplexe Wirkungen einschätzen könnte. v. Ditfurths Schlußfolgerungen: Es gibt Verstand ohne Gehirn, das sei "die bedeutungsvollste Konsequenz der modernen Naturwissenschaft".
Dawkins wehrt sich gegen die unter christlichen Fundamentalisten verbreitete These, in der Evolution zeige sich unmittelbar die lenkende Hand Gottes, gewiß zu Recht. Er fühlt sich vor allem durch jene amerikanische Schule herausgefordert, die unter dem Stichwort "intelligent design" bekannt geworden ist. Ihr Grundgedanke lässt sich so zusammenfassen: Sowohl die Zweckmäßigkeit als auch die Schönheiten der Natur ließen auf die Wirksamkeit von Gestaltursachen (causa formalis) schließen, die sich der materiellen Gegebenheiten als Stoffursache (causa materialis) bedienten. Diese aber hätten die Wirksamkeit von Zweckursachen zur Grundlage und Voraussetzung und ließen sich nicht allein auf Wirkursachen zurückführen. Alle vier von Aristoteles ausgemachten Typen von Ursachen seien zum Verständnis der Evolution heranzuziehen und ließen auf einen intelligenten Designer schließen, nämlich Gott.
In dieser Gedankenfolge steckt ein Fehler, der sie angreifbar macht. Die Zweckmäßigkeiten in der Natur dienen nicht immer dem Gesamtnutzen, sondern oft nur dem Nutzen einer Art auf Kosten anderer; überdies ist keineswegs alles schön, sondern oft von abscheulicher Grausamkeit. Offenbar waltet da nicht unmittelbar Gott, sondern der kollektive Verstand der Tierart, dessen Interessenkalküls einseitig und rücksichtslos sind. Wären Mutationen durch Gott veranlaßt, dann müßten sie alle nützlich sein und nicht nur einige, überdies könnte es nicht zu Fehlentwicklungen kommen, die durch Lösung eines Problems neue und größere Herbeiführen, wie Jörg Zittlau an zahlreichen Beispielen zeigt². Und schließlich dienen die Mutationen in erster Linie den Interessen der Tierart auf Kosten der anderer.
Wie kommt es also zu nützlichen Mutationen? Dazu Dawkins: Schon das Fragment eines Auges, das bloß Hell und Dunkel unterscheidet, kann Leben retten, bleibt also erhalten und kann im Lauf der Generationen zu einem vollkommenen Auge weiter entwickelt werden. Ebenso können erst halbe Flügel immerhin den Fall vom Baum bremsen, so daß er nicht tödlich endet.
Doch wie erklären sich die vielen kleinen Einzelschritte, die die Fragmente des Auges und der Flügel entstehen und bestehen ließen, obwohl sie für sich noch gar keinen Nutzen brachten, sondern eher lästig waren? Und: Mutationen entstehen nicht mit jeder Generation, sondern nur von Zeit zu Zeit. Erklärt man sie nicht mit "Trial & Error" sondern mit dem Prinzip "Zufall" hätte die Evolution dann nicht eines Vielfachen der 3 Milliarden Jahre bedurft?
Deshalb liegt nahe, daß nicht nur Wirkursachen, sondern auch Zweckursachen eine Rolle spielen. Wo sich eine Absicht zeigt, waltet ein Verstand. Dieser kann sich nicht in den Gehirnen der Tiere finden, die haben ja auch keinen Einfluß auf die Mutationen. Es gibt also so etwas wie den "Verstand der Tierart". Wie wirkt er auf die Gene? Wie ist er mit dem Verstand des Einzeltieres verflochten? Woher weiß der Storch in Afrika, wie er sein Nest in Mecklenburg wiederfindet? Was meinen wir genau mit "Instinkt" und "intelligenzanalogem Verhalten"? Wer oder was denkt da, wo sitzt das, wie wirkt es? Das sind alles Fragen an die evolutionsbiologische Forschung.
Für die Gottesfrage ist nur eines entscheidend: Es gibt Verstand ohne Gehirn. Folglich kann es Gott geben, auch Engel, auch ein unabhängiges Fortexistieren der Seele nach dem Sterben. Die szientistische Weltanschauung beruht auf der Behauptung: Es können keinen Geist ohne Gehirn geben. Diese Behauptung ist wissenschaftlich unhaltbar, das Gegenteil ist erwiesen. Die szientistische Weltanschauung ist ein durch nichts begründeter Glaube. Der Gottesglaube hingegen kann an die Erkenntnisse der Wissenschaft anknüpfen und sich im übrigen auf die jahrtausendalten religiösen Erfahrungen der Menschheit stützen. Das beweist nicth die Lehrinhalte der Religionen im einzelnen. Fest steht aber: Da es Geist ohne Gehirn gibt, sind sie nicht von vornherein ausgeschlossen.
b) Dawkins sagt dazu nichts, er arbeitet ja auch nicht mehr als Naturwissenschaftler, sondern versteht sich als Philosoph. "
Ein Atheist oder philosophischer Naturalist" vertrete die Ansicht, "
daß es nichts außerhalb der natürlichen, physikalischen Welt gibt: keine übernatürliche kreative Intelligenz... keine Seele, die den Körper überdauert." Auch die "
Gedanken und Gefühle der Menschen erwachsen aus den kompliziertesten Verflechtungen physischer Gebilde im Gehirn" (S. 25)
Er bescheidet sich also nicht beim wissenschaftlich Erforschbaren, sondern präsentiert ein philosophisches Weltbild, das sich etwa so skizzieren läßt:
1. Das Tote bringt das Lebendige hervor.
2. Das Lebendige bringt das materielle Gehirn hervor.
3. Das materielle Gehirn bringt den Geist hervor.
4. Der Geist bringt die Kultur hervor.
5. Die Kultur bringt die Wissenschaft hervor.
6. Die Wissenschaft bringt die Einsicht hervor, daß das Tote das Lebendige hervorbringt.. und so fort.
Also: Die Prämisse bringt die Conclusio hervor.
Die Religionen gehen von der umgekehrten Prämisse aus: Gott bedarf keines materiellen Gehirns. Er bringt alles in Raum und Zeit Seiende hervor: die anorganische Materie, das Leben, das Gehirn, aber auch mit Geist und Freiheit ausgestattete immaterielle Wesen: Die Engel, die menschlichen Seelen, die den Körper überdauern, und vielleicht sonst noch mancherlei, z. B. den kollektiven Verstand der Tierarten.
Diese Prämisse hält der "Atheist oder philosophische Naturalist" für wahnhaft, eine Art Geisteskrankheit. Dawkins erklärt: "Ich in ein Gegner der Religion. Sie lehrt uns, damit zufrieden zu sein, daß wir die Welt nicht verstehen." Wir verstehen aber sehr viele Dinge nicht ohne die Annahme, daß es Geist ohne Gehirn gibt - was immer sich im übrigen daraus ergibt. Der materialistische Ansatz des "philosophischen Naturalismus" hingegen macht die Welt unverständlich. Er ist absurd, eine Zumutung an den Verstand, ein Wahn, eine Art Geisteskrankheit.
In den sogenannten Idiotenwitzen beruht die Pointe meist darauf, daß die Geisteskranken sich für die Gesunden und die Gesunden für die Geisteskranken halten. Wie können wir uns vergewissern, ob wir zu den Gesunden gehören? In der psychiatrischen Praxis können wir uns dessen gewiß sein, wenn wir die Anstalt verlassen und in die Normalität zurückkehren können. In der Philosophie entspricht dem, daß Begründungspflicht und Beweislast bei dem "philosophischen Naturalismus" liegt. Zur Normalität gehörte zu allen Zeiten und auf allen Kontinenten die Voraussetzung, daß es selbstverständlich geistige Wesen gibt, die unabhängig von der materiellen Welt leben und auf diese einwirken können. Die gegenteilige Annahme ist begründungsbedürftig und beweispflichtig. Dawkins Versuch, sie aus der Evolutionslehre zu beweisen, ist mißlungen. Fragen wir also nach seinen weiteren philosophischen Begründungen.
Erstens: Die Gottesgläubigen haben viele Dinge gesagt, die logisch unsinnig, empirisch widerlegbar oder moralisch verwerflich sind. Das ganze Buch außer dem 4. Kapitel besteht aus einer mit großem Fleiß zusammengetragenen Sammlung von solchen Dingen. Das genügt freilich nicht, um den naturalistischen Ansatz zu beweisen. Es könnten ja auch beide Seiten verrückt sein.
Kenner des historischen Ablaufs der Wissenschaftsgeschichte mit ihren Paradigmenwechseln konnten vergleichbare Sammlungen von "fads and fallacies" zusammenstellen. Diese waren ebenfalls logisch unsinnig, empirisch widerlegbar und moralisch verwerflich bis hin zur Atombombe. Das sagt nichts gegen die Wissenschaft an sich. Fortschritt beruht auf der allmählichen Überwindung von Irrtümern, so ist der Lauf der Welt.
Zweitens: Dawkins geht nur auf Fragen ein, auf die er eine Antwort zu haben glaubt. Damit sind aber die Fragen nicht aus der Welt geschafft, auf die er antworten müßte, um seine Position schlüssig zu begründen. Einige wurden schon genannt, weitere Beispiele: Wie kommt es zu Fortpflanzung, Generationenfolge und Vererbung, die die Evolutionslehre ja nicht erklärt, sondern voraussetzt? Wie kommt es zu unserer Ich-Erfahrung, die die Wissenschaft nur in ihren objektiven Wirkungen beschreiben, aber nicht als solche erfassen kann, sondern ebenfalls voraussetzen muß? Wie kommt es, daß unser Geist zu wissenschaftlichen Erkenntnissen fähig ist, wie kommt es insbesondere zu der seltsamen Korrespondenz zwischen unserem Geist und den Strukturen der Welt? Wie kommt es, daß wir "Menschenwürde" anerkennen können und damit ethische Prinzipien, die sich mit utilitaristischen Kalküls allein nicht begründen lassen?
Drittens: Ein Hauptargument Dawkins ist, es komme darauf an, welches der beiden Weltmodelle das politisch Wünschenswertere ist - ein seltsames Argument, wenn man im Namen der Wissenschaft auftritt. Er meint: Eine friedliche und humane Welt könne sich erst entwickeln, wenn möglichst alle Menschen von seinem naturalistischen Ansatz überzeugt sein werden. Für Terror und Kriege sollten wir "nicht einen religiösen Extremismus verantwortlich machen, sondern die Religion selbst". Denn diese öffne "dem Extremismus Tür und Tor" (S. 426 f.)
Doch die Geschichte der Kriege kann ihm nicht völlig unbekannt geblieben sein. Von den antiken Eroberungskriegen bis zur Gegenwart ging es um Macht und Vorherrschaft, um wirtschaftliche Ressourcen und Handelsbedingungen, auch um Ehre und Rache, nur in Ausnahmefällen, die es allerdings gab, ging es um Religion. Doch da diente sie als legitimierender Vorwand zu Zwecken wie Motivation der Truppen und Anstachelung fanatischen Hasses. Das alles läuft dem eigentlichen Geist der Religion zuwider.
Was die Humanität der atheistischen Welt betrifft, läßt Dawkins zunächst außer Betracht, daß die totalitären Systeme in Deutschland, der Sowjetunion und China nur mittels der Verdrängung der Religionen ihre Massenbasis gefunden haben. Er fragt auch nicht, warum atheistische Intellektuelle in aller Welt deren Verbrechen geleugnet, beschönigt oder gerechtfertigt haben. Es rächt sich jetzt, daß sie ihre Mitschuld bis heute noch nicht aufgearbeitet haben. Im atheistischen Millieu ist die Geschichte des Totalitarismus deshalb ein Tabu-Thema. Das diplomatische Agieren von Vatikan und Bischöfen, das Schwiegen des Papstes und das Mitläufertum der protestantischen "Deutschen Christen" wurden mit Recht kritisch durchleuchtet. Wie aber kommt es, daß außer in Fachkreisen wenig bekannt ist, daß Hitler seine Wahlerfolge ganz überwiegend in den nicht-katholischen Gebieten errang und die Katholiken noch im März 1933 Zentrum und Bayerische Volkspartei wählten?
Dawkins versucht es so hinzudrehen, als hätte die nationalsozialistische Rassenideologie ihre Wurzel im christlichen Glauben. Das kann unmöglich wahr sein. Schließlich waren Jesus, seine Jünger und Apostel und die Mehrzahl der Evangelisten Juden, und sie alle knüpften an die jüdische Tradition an. Der absurde Gedanke, die Juden bildeten eine minderwertige Rasse, die es auszurotten gelte, war darwinistischen Ursprungs. Man hatte die Evolutionslehre dahin verstanden: In der Politik gehe es um den Kampf ums Dasein. Man stritt nur über die Frage: Um einen Kampf der Nationen, der Klassen oder der Rassen? Die Vernichtung des Christentums hatte Hitler für die Zeit nach seinem Endsieg vorgesehen.
Die Behauptung, die Welt würde durch eine atheistische Großkampagne friedlicher und humaner werden, ist so weltfremd, daß sich die Frage aufdrängt: Welche Absicht steckt dahinter? Oder, um nichts zu unterstellen, welche Wirkungen sind vorhersehbar?
In vielen Familien gibt es Spannungen zwischen Partnern, von denen der eine religiös, der andere atheistisch orientiert ist, aber man findet einen Modus des verträglichen Zusammenlebens. Nun wird der Atheist aufgefordert, dem anderen mit dem Argument entgegenzutreten: "Du bist geisteskrank und ein potenzieller Terrorist". So werden Zerwürfnisse und Scheidungskriege programmiert, und auf politischer Ebene Kampagnen der üblichen Nachrede gegen harmlose Gläubige und religiöse Minderheiten. Die Kirchen und ihre Präsenz in der Öffentlichkeit mit Gottesdiensten, dem Läuten der GLocken, den Jahresfesten und Symbolen werden Gegenstand von Wut und Hohn. Auf internationaler Ebene wird die Aggressivität gegen "den Westen" verschärft, nicht nur in der islamischen Welt, sondern allenthalben. Kooperative Problemlösungen werden aufs äußerste erschwert. Das ist sicher nicht, was unsere kämpferischen Atheisten bewußt beabsichtigen. Aber das ist es, was sie erreichen.
Die Prämisse aller Religionen - es gibt Geist ohne Gehirn - steht erstens mit den Erkenntnissen der Wissenschaft in Einklang und wird zweitens durch die Erfahrungen unzähliger Menschen in Geschichte und Gegenwart gestützt. Die szientistische Weltanschauung hingegen beruht auf einem Glauben, der die empirische Basis der Religionen ohne hinreichenden Grund prinzipiell bestreitet.