Ihr Lieben, vielen Dank für die vielen und ausführlichen Antworten! Das Thema ist sehr tief, und hat sehr viele Aspekte.
Lieber Benedikt, natürlich bin ich weder Russe, weil ich Orthodox bin, noch umgekehrt. Aber dahin zielte meine Ursprungsfrage gar nicht. Niemandem soll der Orthodoxe Glaube vorenthalten bleiben, nur weil er nicht zu einem orthodoxen Volk gehört. Die Geschickte von Ludmila finde ich überhaupt nicht abschreckend - das ist russischer Humor, so was sage ich auch oft. Dass sie es mit glänzenden Augen sagte zeigt auch noch, dass sie dich mag und es ihr wichtig war, dass es dir gefällt.
Benedikt hat geschrieben:Eigentlich sind wir, wie ich oben schon mal kurz angerissen habe, weder Jude noch Grieche noch sonst etwas sondern wir sind Fremdlinge auf der Erde. Der heilige Paulus schreibt das immer und immer wieder in seinen Briefen. Eigentlich sollten wir alle einen Pass haben, ausgestellt vom Reich Gottes auf unseren Taufnamen und den alten müsssen wir abgeben. Damit uns klar ist, wohin unsere Loyalität gehört, unsere Familie ist, unser 'Land' ist. Keinesfalls in Deutschland, Schweden oder sonstwo. Wir sind Christen und nicht ...
An dieser Stelle kann ich dir aber nicht zustimmen. Du zitierst „weder Jude noch Grieche“. Aber schauen wir uns doch diese Stelle genauer an: „Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus.“ (Gal 3, 26-28) Wir sind also auch nicht mehr Mann und Frau? Bist du sicher?
Benedikt hat geschrieben:Die Sache mit dem Patriotismus ist nicht so leicht in Zentraleuropa, da hat's viel Scherben und Elend gegeben deswegen. Und ich empfinde es als eine der besten Sachen an der EU, dass dieses Stammesgetue so langsam seinen Wert verliert. Denn niemand kann ja etwas dafür irgendwo von irgendwelchen Eltern in die Welt gesetzt worden zu sein und daher sehe ich nicht die geringste Veranlassung dazu, darauf stolz zu sein, Deutscher zu sein eidiweil Beethoven, Schopenhauer, Werner von Siemens oder auch Beckenbauer auch Deutsche waren/sind. Das ist nicht mein Verdienst, also nichts um darauf stolz zu sein.
Hier wiederum. Für mich ist Patriotismus a priori etwas gutes. Den darf man aber bitte nicht mit Nationalismus oder Faschismus verwechseln. Tausende von Jahren waren Menschen patriotisch, viele sind es heute noch, und das hat nichts mit den Geschehnissen in Deutschland oder Europa gemeinsam. Meine Frage war ja „ist es gut, Patriot der eigenen Kirche, und entsprechend des Landes zu sein, in dem diese beheimatet ist?“ und nicht ob es gut ist, der Häresie der Philetismus anzugehören, also die eigene Nationalkirche für die einzig Richtige zu halten. Die Frage ist – ist der Patriotismus eine christliche Tugend, oder zumindest etwas, was ein Christ befürwortet?
Nassos hat geschrieben:Das was mich stört, was mich unheimlich stört, sind die Sticheleien zwischen den Glaubensbrüdern. Wenn der eine sich für den besseren Orthodoxen hält.
Das finde ich ebenfalls sehr schlimm. Es ist natürlich, dass ein Mensch das seine für das Beste hält. Meine Mama ist die beste Mama. Und mein Papa auch. Genauso mein Land und meine Kirche sind für mich die besten. Aber wenn man anfängt, sich wie Kinder zustreiten (Meine Mama ist die beste. Nein, das stimmt nicht, meine Mama ist viel besser), dann sollte man daran Denken, erwachsen zu werden.
Größten Dank an Lazzaro und bogoslov05 für die ausführlichen und durchdachten Beiträge! Lieber bogoslov, hast du auch etwas ausführlicheres zu dem Thema, was du mit zukommen lassen könntest?
In Zusammenhang mit der Tagung zur Mission, die in Vallender hätte stattfinden sollen, habe ich auch einen
Versuch zum Thema Patriotismus unternommen.
Der universelle Charakter der Orthodoxie vs. Patriotismus?
Immer wieder hört man sowohl von nicht orthodoxen, wie auch von orthodoxen Christen, die nicht aus einem orthodoxen Land stammen, Anschuldigungen an die einzelnen autokephalen Kirchen. Diese beziehen sich meistens auf den nationalen Charakter der Orthodoxie, die enge Bindung zwischen dem orthodoxen Glauben bzw. der jeweiligen autokephalen Kirche mit einem bestimmten Volk und seiner Kultur. Diese Anschuldigung findet leicht Zustimmung, denn das Argument ist einleuchtend – Christus ist für alle gekommen. Somit ist auch der orthodoxe Glaube universell für alle Menschen und dürfe nicht an ein bestimmtes Volk gebunden werden. Manche orthodoxe Eifere gehen soweit, dass sie versuchen, den „orthodoxen Glauben“ und die „orthodoxe Tradition“ aus der Tradition einer autokephalen Kirche zu extrahieren, und alles Nationale zu verwerfen. In den Gemeinden wird das Land und das Volk, zu dem die Gemeinde gehört, nicht mehr namentlich erwähnt.
Durch die nationalsozialistische Geschichte Deutschlands im XX. Jahrhundert ist hier im Land die Gefahr bzw. die Versuchung einer „Entnationalisierung“ der Kirche besonders groß.
Bei einem Gespräch über den Patriotismus müssen wir zwischen der christlichen Tugend des Patriotismus und ihrer Verdrehung unterscheiden. Der Patriotismus kann auf verschiede Weise motiviert sein. Ist er durch Nationalität motiviert, entartet er zum Nationalismus. Durch eine Rassenzugehörigkeit – zum Rassismus. Ivan Iljin schreibt darüber:
"Das geistliche Wesen des Patriotismus bleibt fast immer hinter dem Durcheinander ihres Bewusstseins. Die Liebe zur Heimat lebt in ihren Seelen in Form einer vernunftlosen, unbestimmten Neigung, die mal ganz erstarrt und ihre Kraft verliert, … mal als eine blinde und unvernünftige Leidenschaft entfacht, als ein … Instinkt, der fähig ist, in der Seele sowohl die Stimme des Gewissens, als auch das Gefühl für Maß und Gerechtigkeit zu übertönen. Dann wird der Patriotismus zu einem blinden Affekt, der das Los aller blinder und geistlich nicht erleuchteten Affekte teilt: er wird langsam zu einer bösen und raubgierigen Leidenschaft – eines verächtlichen Stolzes, eines wilden und aggressiven Hasses. Und dann stellt sich heraus, dass der „Patriot“ oder der „Nationalist“ selbst keinen kreativen Aufstieg erlebt, sondern eine zeitweilige Erbitterung, bei der er zum Tier werden kann. Es stellt sich heraus, dass im Herzen des Menschen sich nicht die Liebe zur Heimat befindet, sondern eine seltsame und gefährliche Mischung eines kriegerischen Chauvinismus und einer dumpfen nationalen Einbildung oder einer Vorliebe zu alltäglichen Kleinigkeiten und eines heuchlerischen Großmachtpathos, hinter dem oft ein persönlicher und klassenmäßiger Eigennutz lauert.
Dagegen gründet ein christlicher Patriotismus immer auf Geistlichkeit und Liebe. Es ist für den Menschen natürlich, die Schöpfung zu lieben. „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde… Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ (Gen 1, 1. 31) Wie könnte der Mensch etwas nicht lieben, was Gott selbst geschaffen hat und was er sogar für gut befunden hat? Die erste Heimat des Menschen war der Garten Eden, diesen sollte der Mensch bebauen und bewahren."
Später segnet Gott den Menschen auch mit einem Vaterland. „Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde! Und ich will dich zu einer großen Nation machen, und ich will dich segnen, und ich will deinen Namen groß machen, und du sollst ein Segen sein!“ (Gen 12, 1-2) Nach diesen Worten werden Tausende von Jahren die Juden Abraham als ihren Vater, und alle gottestreuen Menschen bis heute Abraham als den Vater der Gläubigen ansehen. Israel wird für die Juden das Vaterland, für das sie bereit sind zu kämpfen uns zu sterben. Dabei wird es so sehr auch als geistliche Heimat verstanden, dass Christen sich sogar heute noch als das neue Israel ansehen.
Zwar liebt Christus alle, und kommt, um alle Heiden zu erleuchten, jedoch kommt er zuerst zu den „Seinen“ (Joh 1, 11). Und obwohl der Apostel Paulus von denen spricht, die „Fremde und ohne Bürgerrecht auf der Erde“ (Heb 11, 13) sind, ist ihm die nationale Zugehörigkeit nicht fremd. Obwohl er zu allen Menschen gesandt ist, eifert er am meisten um sein Volk: „ich habe gewünscht, verflucht zu sein von Christus weg für meine Brüder, meine Verwandten nach dem Fleisch“ (Röm 9, 3).
Oft wird bei dieser Argumentation der Brief an die Galater zitiert: „Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus.“ (Gal 3, 26-28) Es gibt also weder Juden noch Griechen, deshalb spielt Nationalität und Volkszugehörigkeit keine Rolle mehr. Jedoch wird hier der Kontext oft übersehen. Es geht dem Apostel an dieser Stelle überhaupt nicht darum, Nationalität und Volk für unwichtig für einen Christen zu erklären. In diesem Satz steht ja auch, das es nicht mehr „Mann und Frau“ gibt. Trotzdem sind wir auch für die Kirche Männer und Frauen, stehen beim Gottesdienst klassischer Weiße in verschiedenen Teilen der Kirche, werden mit er oder sie und nicht mit es angesprochen. Wir haben getrennte Toilettenräume und eine Geschlechtsumwandlung wird von der Kirche als eine schwere Sünde betrachtet. Und, nicht zu vergessen, obwohl es „nicht Mann und Frau“ mehr gibt, dürfen Frauen nicht Priester werden. Der Apostel möchte an dieser Stelle vielmehr zeigen, dass vor Gott, vor dem Gericht Gottes alle gleich sein werden, und dass die Juden aufhören, das auserwählte Volk zu sein. Johannes Chrysostomus schreibt darüber: „Ein Mensch, der vordem Hellene und Jude und Sklave war, wandelt nun einher in der Gestalt nicht eines Engels, nicht eines Erzengels, nein, des Alleinherrschers selber und vergegenwärtigt Christus in seiner Person.“ Und obwohl, anders als im alten Testament („Sie wunderten sich, dass er mit einer Frau sprach“ (Joh 2, 27)), es bei der Vergöttlichung keine Rolle spielt, ob jemand eine Frau oder ein Grieche ist, bleibt eine Frau eine Frau und ein Grieche ein Grieche.
Auch in der neutestamentlichen Zeit hat das Vaterland also eine wichtige Rolle in der christlichen Religion. Wie Israel als das irdische Vaterland das Abbild des Himmlischen Vaterlandes darstellt, so ist auch das Vaterland eines jeden Menschen für ihn das Abbild des Himmlischen Vaterlandes. Der hl. Johannes von Kronstadt schreibt über die Grundlagen des Patriotismus: „Das irdische Vaterland mit seiner Kirche ist der Vorhof des Himmlischen Vaterlandes, liebt es deshalb mit Feuer, und seid bereit, eure Seele dafür zu opfern, damit ihr das Ewige Leben erben könnt.“
Erzpriester Georgij Wolhowskij schreibt über den Sinn des orthodoxen Patriotismus folgendes:
"Eigentlich ist die gesamte Geschichte der Orthodoxen Kirche – die Geschichte eines Patriotismus des Glaubens, wo der Patriotismus nicht nur die Liebe zum eigenen Volk darstellt, die in uns auf natürliche Weise entsteht, sondern, in erster Linie, eine hochmoralisches Gefühl, eine christliche Tugend.
Der orthodoxe Patriotismus hängt nicht zusammen mit einer Nationalität oder einem Territorium. „Die Markmale der Rasse und des Blutes, schrieb Iwan Iljin, lösen nicht die Frage nach der Heimat: ein Armenier kann beispielsweise ein russischer Patriot sein.“ Daher ist auch der Patriotismus des russischen Volkes, zu dem auch das orthodoxe Volk der Ukraine gehört, nicht durch die nationale Zugehörigkeit bestimmt, sondern durch die messianische Bedeutung bei der Bewahrung und der Reinheit des orthodoxen Glaubens. Das ist der Patriotismus des Glaubens und der errettenden Lehre Christi."
Bei dem inständigen Gebet für ein Land und Volk, dass die jeweilige autokephale Kirche beheimatet, geht es im Gottesdienst also nicht nur um die nationale Zugehörigkeit der anwesenden Gläubigen oder eine Verbundenheit gegenüber diesem Land dafür, dass es den orthodoxen Glauben über Jahrhunderte bewahrt und beschützt hat, sondern auch um einen kirchlichen Nutzen – nur wenn ein Land orthodox bleibt, kann es den orthodoxen Glauben wahren und in der heutigen globalisierten Welt sich für die orthodoxen moralischen Werte einsetzen. Die Statistik besagt, dass in der heutigen Welt alle 5 Minuten ein Christ wegen seines Glaubens umgebracht wird. Auch im postchristlichen Europa wird Christenphobie immer mehr zum Thema. Zum Schutz des orthodoxen Glaubens bedarf es also nicht nur Altväter und gläubiger Menschen, sondern auch einer konkreten politischen Macht, die sich für die orthodoxen Gläubigen und ihre Rechte einsetzt, sowohl in dem Land selbst, wie auch außerhalb.
Abgesehen von seinem praktischen Nutzen für den Erhalt des orthodoxen Glaubens ist das Fehlen des Patriotismus auch ein moralisches und somit missionarisches Problem. Der hl. Evangelist Johannes schreibt: „Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er gesehen hat, kann nicht Gott lieben, den er nicht gesehen hat.“ (1 Joh 4, 20) Das gleiche gilt auch für die Liebe zum Vaterland. Wie kann jemand, der sein irdisches Vaterland nicht liebt, sein himmlisches Vaterland lieben? Wie wird jemand, der nicht bereit ist, sich für sein Vaterland und sein Volk zu opfern, sich für die Kirche und Gott opfern können? Der hl. Filaret von Moskau schreibt sogar: „Ein schlechter Bürger seines irdischen Vaterlandes ist des himmlischen Vaterlandes unwürdig.“
In den Grundlagen der Sozialdoktrin der Russischen Orthodoxen Kirche steht über den christlichen Patriotismus:
"Der christliche Patriotismus bezieht sich in gleicher Weise auf die Nation als ethnische Gemeinschaft als auf die Gemeinschaft der Staatsbürger. Der orthodoxe Christ ist aufgerufen, sein Vaterland, im Sinne eines bestimmten Territoriums, zu lieben, desgleichen seine über die Welt verstreuten Blutsbrüder. Diese Liebe ist eine Art, das göttliche Gebot der Nächstenliebe zu befolgen, welches die Liebe zur Familie, den Volksangehörigen sowie den Mitbürgern einschließt.
Der Patriotismus des orthodoxen Christen soll tätig sein. Er äußert sich in der Verteidigung des Vaterlands gegen den Feind, in der Arbeit zum Wohle der Heimat, im Einsatz für das öffentliche Leben, einschließlich der Teilnahme an den Angelegenheiten der Staatsverwaltung. Der Christ ist dazu aufgefordert, die nationale Kultur und das nationale Selbstbewusstsein zu wahren und weiterzuentwickeln.
Wenn die Nation – bürgerlich oder ethnisch – vollständig oder überwiegend eine monokonfessionelle orthodoxe Gemeinschaft ist, kann sie in gewissem Sinne als einheitliche Glaubensgemeinschaft betrachtet werden – als orthodoxes Volk."
Der nationale Charakter ist somit einer der wichtigsten Aspekte sowohl beim Erhalt, wie auch bei der Verbreitung des orthodoxen Glaubens. Der Patriotismus gibt einem Volk die notwendige Kraft und moralische Grundlage, um sich selbst vor äußeren Einflüssen zu schützen. Dabei ist der orthodoxe Glaube für die Menschen das wichtigste Gut, der Stolz eines Landes, und wird deshalb vom patriotischen Gefühl mit erfasst. Auch bei der Verbreitung der Orthodoxie wird der Patriotismus als christliche Tugend weitergegeben, und kann auch als Trägeridee bei der Mission dienen.
Die Frage nach dem Patriotismus hat sich bei mir grade im Zusammenhang mit der Mission gestellt. Aber der Patriotismus ist letztlich nur ein Nebenaspekt, viel wichtiger ist die Frage nach der Kultur - kann es eine erfolgreiche Mission ohne einen Bezug zu einer (orthodoxen) Kultur geben?