Schleichende Zurücksetzung von Frauen (russ.-orth. Kirche)

Orthodoxe Kirche und Gesellschaft, Theologie
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Suchender1972
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Schleichende Zurücksetzung von Frauen (russ.-orth. Kirche)

Beitrag von Suchender1972 »

Hallo zusammen,

ich bin seit meiner Kindheit in der russisch-orthodoxen (Auslands-)Kirche hier in Deutschland, vor allem in Frankfurt am Main und Wiesbaden aktiv. Mit dem starken Zuwachs an Gemeindemitgliedern seit den 1990er-Jahren stelle ich mit Betrübnis fest, dass auch einige merkwürdige Ansichten "importiert" wurden, die meist auf Halbwissen beruhen, aber insbesondere von den Neumitgliedern (неофиты) mit radikaler Konsequenz eingefordert werden.

Hierzu gehören vor allem Ansichten, die die Rolle der Frau in der Kirche immer stärker zurückdrängen, insbesondere die getrennte Aufstellung von Frauen und Männern während des Gottesdienstes (vorher in unserer Kirche nicht üblich) oder Kopftücher auch für kleine Mädchen, wofür es meines Wissens keine Begründung gibt.

Was mich aber besonderes stört, ist die seit einigen Jahren von immer mehr Priestern durchgesetzte Reihenfolge beim Abendmahl - so sollen Jungen vor den Mädchen und Männer vor den Frauen die Kommunion empfangen, was bei uns früher ebenfalls völlig unüblich war.

Totschlagargument ist regelmäßig: "Das wird in Russland so gemacht". Auf diesem Wege werden gleichzeitig völlig skurrile Ansichten importiert wie "Orthodoxe dürfen sich Sonntags nicht waschen", "Frauen müssen den Kopf bedecken, weil sich sonst die Engel mit ihren Klauen [?!?] in den Haaren verfangen könnten" usw.

Was denkt ihr darüber? Habt ihr auch solche Erfahrungen in euren russisch-orthodoxen Gemeinden gemacht? Wie machen es andere orthodoxe Kirchen?

Gruß

Denis
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Priester Alexej
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Re: Schleichende Zurücksetzung von Frauen (russ.-orth. Kirch

Beitrag von Priester Alexej »

Guten Tag Denis,

das sind sehr viele Fragen, die alle samt sehr tief sind. Ich habe eine "Zurücksetzung" bis jetzt in den Gemeinden nicht gesehen, überall tragen Frauen einen beträchtlichen Teil zum Gemeindeleben bei.

Die beschriebene Ordnung bei der Kommunion, die getrennte Aufstellung und das Kopftuch bei Mädchen ist eher eine Zurückbesinnung auf die Tradition - so ist es nämlich in der alten Rus' gewesen, und mit gutem Grund. Vielleicht auch im alten Griechenland, da müssten wir aber die Griechen fragen.

Wenn du dich mit diesen Fragen auf theologischer Ebene auseinandersetzen möchtest, empfehle ich folgendes Buch - http://edition-hagia-sophia.de/de/Bcher ... n-und-Frau

Herzliche Grüße!
Apostolischer Kanon 39 (32): Priester und Diakonen sollen ohne Wissen und Willen des Bischofs Nichts thun: denn dieser ist's, welchem das Volk des Herrn anvertraut worden, und von welchem Rechenschaft über ihre Seelen gefordert werden wird.
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Suchender1972
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Re: Schleichende Zurücksetzung von Frauen (russ.-orth. Kirch

Beitrag von Suchender1972 »

Guten Abend Alexej,

sicherlich sehe auch ich einen wichtigen Teil der Gemeindearbeit bei den Frauen. Wären die von mir beschriebenen Verhaltensregeln tatsächlich bis in die heutige zeit überliefert, hätte ich damit auch weniger ein Problem. Ich denke es ist eher eine kulturelle Veränderung der Gemeinde, die von mir schmerzlich wahrgenommen wird, denn die Emigranten, die bis in die 1990er-Jahre das Gemeindeleben geprägt haben, stammen zu einem nicht unbedeutenden Teil aus der städtischen Oberschicht des "alten" Russland, die in manchen Belangen sicherlich liberaler eingestellt war.

Dein Argument mit der Rückbesinnung auf die Tradition ist hilfreich. Mein Problem dabei ist aber, dass neue Gläubige, die erst seit ein paar Jahre zur orthodoxen Kirche gefunden haben, uns "alten" Gemeindemitgliedern, die die russisch-orthodoxe Kirche in der Diaspora über Jahrzehnte am Leben gehalten haben, regelmäßig belehren, wie es "richtig" geht.

Danke auch für den Buchtipp, da steht sicherlich einiges wissenswertes zu diesem Thema.

Gruß

Denis
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Priester Alexej
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Re: Schleichende Zurücksetzung von Frauen (russ.-orth. Kirch

Beitrag von Priester Alexej »

Das zweite von der beschriebene Problem gibt es wirklich in einigen Gemeinden, in erster Linie der Auslandskirche. Dabei geht es aber - wie du es schon richtig angemerkt hast - nicht um die Freuen in der Gemeinde, sonder um verschiedene Kulturen, die aufeinander Treffen. Dazu ist es von außen schwer zu urteilen, wer recht oder unrecht hat. Es gibt auch alte Gemeinden, die sich jedem frischen Wind verschließen und unter sich bleiben wollen - ohne der neu dazugekommenen Gläubigen mit ihren Kindern,,,
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Suchender1972
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Re: Schleichende Zurücksetzung von Frauen (russ.-orth. Kirch

Beitrag von Suchender1972 »

Hallo Alexej,

das "unter sich bleiben" wäre schwierig, da die neuen Mitglieder inzwischen über 90% der Gläubigen stellen. Ich verschließe mich auch nicht prinzipiell neuen Ideen/ Interpretationen, was ich mir aber wünsche, ist ein akzeptierendes Nebeneinander der beiden Kulturen. Genausowenig wie ich die neuen Mitglieder belehre, dass z.B. kleine Mädchen keine Kopfbedeckung brauchen, möchte auch ich nicht belehrt werden.

Das ist im Bezug auf religiöse Fragen immer schwierig, weil es insbesondere in der russischen Kultur nicht um das Richtige als Resultat einer rationale Argumentation ("pravda"), sondern um eine höhere Wahrheit ("istina") geht, die dann natürlich unbestreitbar für alle in Geltung gebracht werden muss.

Gruß

Denis
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Priester Alexej
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Re: Schleichende Zurücksetzung von Frauen (russ.-orth. Kirch

Beitrag von Priester Alexej »

Suchender1972 hat geschrieben:Das ist im Bezug auf religiöse Fragen immer schwierig, weil es insbesondere in der russischen Kultur nicht um das Richtige als Resultat einer rationale Argumentation ("pravda"), sondern um eine höhere Wahrheit ("istina") geht, die dann natürlich unbestreitbar für alle in Geltung gebracht werden muss.
Lieber Denis, im Bezug auf theologische und moralische Fragen ist es auch genau das Richtige, nach der Istina zu suschen. Bei Bräuchen muss man manchmal auch andere Traditionen akzeptieren. Leider sind alle Menschen schwach und tun nicht immer das Richtige, ich denke das ist in jeder Gemeinde so. Es ist das wichtigste, dass wenn wir in die kirche gehen, wir immer wissen, zu wehm wir gehen - nämlich zu Gott. Dann können uns alle Probleme nicht von ihm abbringen.
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Suchender1972
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Re: Schleichende Zurücksetzung von Frauen (russ.-orth. Kirch

Beitrag von Suchender1972 »

Hallo Alexej,

im Bezug auf Religion gibt es auch nur eine gültige "Istina", da gebe ich Dir völlig Recht. Aber Bräuche und Traditionen sind "Pravdas" die zu verschiedenen Zeiten/ in verschiedenen Regionen auch unterschiedlich gelebt wurden und werden. Diese beiden Kategorien auseinanderzuhalten fällt offensichtlich vielen schwer, solche eigentlich sekundären Fragen sollten aber nicht zwischen den einzelnen Gemeindemitgliedern und evtl. -gruppen stehen und die Freude einiger Gläubiger am Gottesdienst trüben.

Es geht ja primär darum an sich selbst zu arbeiten und nicht vermeintliche Fehler bei Anderen zu suchen. Mit ein wenig Toleranz - von beiden Seiten (!) - ließe sich hier viel bewegen.

Gruß

Denis
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Doxa_Si
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Re: Schleichende Zurücksetzung von Frauen (russ.-orth. Kirch

Beitrag von Doxa_Si »

Naja, es ist nicht immer einfach, dass alle Menschen miteinander auskommen.

In Stuttgart haben die alten Gemeindemitglieder eine Gemeinde im Pariser Exarchat gebildet, nachdem sich von den neu aus der ehem. UdSSR hinzugekommen Mitgliedern unter Druck gesetzt fühlten.

In Wiesbaden sind wohl einige Kirchgänger nach Mainz gewechselt, die genauen Gründe sind mir aber unklar. Eine Frau, selbst nach der Wende nach Deutschland gekommen, sagte mir aber, es sei ihr verboten worden, die Wiesbadener Kirche zu betreten, weil sie kein Kopftuch trug.

In Frankfurt finden nun einmal im Monat georgische Liturgien in der (grriechischen bzw. Ökumenisches Patriarchat) Kirche des hl. Propheten Elias statt. Eine Georgierin sagte mir, während des Krieges zwischen Russland und Georgien sei es zu Vorfällen gekommen, infolge derer sich die Georgier am Fischstein (hl. Nikolaus, Russ. Auslandskirche) nicht mehr willkommen fühlten.

Im Zweifel fühlt wann sich vielleicht echt in einer anderen Gemeinde besser. In Frankfurt gibt es ja 6 orthodoxe Gemeinden. Ich würde empfehlen, einfach mal alle anzuschauen. Ich selbst besuche den schon erwähnten Prophet Elias (Liturgie altgriechisch, aber Mittwoch abends deutschsprachiges Glaubensgespräch für Erwachsene). Sehr zu empfehlen ist auch die Gemeinde in Mainz (zweisprachig deutsch/kirchenslawisch), wo auch zahlreiche deutsche Orthodoxe zu finden sind.
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Suchender1972
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Re: Schleichende Zurücksetzung von Frauen (russ.-orth. Kirch

Beitrag von Suchender1972 »

Hallo Doxa_Si,
In Stuttgart haben die alten Gemeindemitglieder eine Gemeinde im Pariser Exarchat gebildet, nachdem sich von den neu aus der ehem. UdSSR hinzugekommen Mitgliedern unter Druck gesetzt fühlten.
Ich habe das gleiche über jüdische Gemeinden gehört, die ja ebenfalls seit den 1990er-Jahren zahlenmäßig von neuen Mitgliedern aus Osteuropa dominiert werden und wo sich in der Folge "alte" Gläubige in eigenen Gemeinden organisiert haben. Aber das fände ich schade, denn es gibt ja schon genug Spaltung innerhalb der russischen Orthodoxie in Deutschland (ROKA, MP, Exarchat) und dadurch in einigen Städten parallele Gemeinden, da braucht es nicht noch mehr ...

Mainz wäre für mich natürlich eine Alternative, vielleicht probiere ich das mal, obwohl meine innere Bindung an "meine" Frankfurter Kirche, in der ich vor über 40 Jahren getauft wurde, Messdiener war, geheiratet habe etc. doch recht stark ist ...

Gruß

Denis
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