Vielleicht hilft das weiter, vom Hl. Nil vom Sinai:
5. Über die Trauer
Kapitel 11
Der traurige Mönch kennt keine geistliche Freude. Die Trauer ist Verzagtheit der Seele und kann von sündigen Gedanken kommen. Die Gereiztheit ist der Wunsch nach Rache und der Misserfolg bei der Rache bringt Trauer hervor. Die Trauer ist wie der Rachen des Löwen und frisst den Traurigen leicht auf. Die Trauer ist wie ein Wurm im Herzen und verzehrt die Mutter, die ihn geboren. Die Mutter quält sich, wenn sie das Kind gebiert, hat sie aber geboren, wird sie von den Qualen befreit. Wenn aber Trauer geboren wird, bringt sie großen Schmerz hervor, und wenn sie geboren wurde, fügt sie große Krankheit zu. Ein trauriger Mönch fühlt keine geistliche Freude, wie ein Fiebriger nicht den Geschmack des Honigs schmeckt. Ein trauriger Mönch kann seinen Verstand nicht zur Schau bewegen und wird niemals ein reines Gebet emporbringen, weil die Trauer allem Guten ein Hindernis ist. Beinfesseln sind einer raschen Reise ein Hindernis, und die Trauer – ein Hindernis der Schau. Die Barbaren fesseln einen Gefangenen mit Metall, den Gefangenen von Leidenschaften fesselt die Trauer. Die Trauer wird nicht stärker, wenn es keine anderen Leidenschaften gibt, wie auch Fesseln nicht fesseln, wenn es keine Kerkermeister gibt. Wer von der Trauer gefesselt ist, ist von Leidenschaften besiegt und trägt diese Fesseln als Entlarvung seiner Niederlage. Denn die Trauer kann die Folge eines Misserfolgs bei einer fleischlichen Begierde sein, die Begierde wird aber mit jeder Leidenschaft verbunden. Wer die Begierde besiegt hat, hat auch die Leidenschaft besiegt, wer aber die Leidenschaften besiegt hat, wird auch von der Trauer nicht überkommen. Der Enthaltsame trauert nicht, dass die Speisen misslungen sind, und der Keusche, dass er nicht zur geplanten Ausschweifung gekommen ist, und der Zornlose, dass er sich nicht rächen konnte, und der Demütige, dass er der menschlichen Ehrenerweisung bar ist, und der nicht Habsüchtige, dass er einen Verlust erlitten hat. Sie haben den Wunsch nach all dem mit Kraft von sich gewiesen, denn wie einen Gepanzerten kein Pfeil durchdringt, so wird auch ein Leidenschaftsloser nicht von der Trauer verwundet.
Kapitel 12
Einem Krieger bereitet der Schild Sicherheit, und einer Stadt die Mauer, aber mehr als Schild und Mauer schütz die Leidenschaftslosigkeit den Mönch. Denn der Schild wird von einem Pfeil im tödlichen Anflug durchbohrt, und eine Mauer von vielen Feinden zerstört, die Leidenschaftslosigkeit wird aber nicht von der Trauer durchdrungen. Wer über die Leidenschaften Herr wurde, hat auch die Trauer besiegt, wer aber von der fleischlichen Lust besiegt ist, wird auch ihrer Fesseln nicht entfliehen. Wer oft von der Trauer geplagt wird und sich Leidenschaftslosigkeit zuschreibt, ist wie ein Kranker, der sich gesund gibt. Wie der Kranke an seiner Gesichtsfarbe zu erkennen ist, so entlarvt auch den Leidenschaftlichen die Trauer. Wer die Welt liebt, wird viel Trauer empfinden. Wer sich aber nicht darum kümmert, was in der Welt ist, wird immer fröhlich sein. Der Habsüchtige, der einen Verlust erlitten hat, wird schwer trauern, wer aber Geld vernachlässigt, wird ohne Trauer sein. Der Ruhmliebende wird traurig, wenn er Ehrlosigkeit ertragen muss, ein Demütiger aber nimmt diese wie eine Schwester auf. Ein Schmelzofen reinigt minderwertiges Silber, und die Trauer nach Gott ein Herz, das in Sünden versunken ist. Die weltliche Trauer verringert den Verstand und schwächt den schauenden Geist. In die Tiefe des Wassers dringt kein Sonnenlicht durch, und das trauernde Herz wird nicht von dem Licht der Schau erleuchtet. Jedem Menschen ist der Sonnenaufgang genehm, aber auch von diesem wird die traurige Seele nicht erfreut. Die Gelbsucht nimmt einem Menschen den Geschmackssinn, die Trauer nimmt der Seele die Gefühle. Wer aber die weltlichen Vergnügungen vernachlässigt, wird nicht von traurigen Gedanken geplagt.
6. Über die Verzagtheit
Kapitel 13
Die Verzagtheit ist eine Erschöpfung der Seele. Eine erschöpfte Seele hat aber nicht das, was für sie natürlich ist und verträgt die Versuchungen nicht tapfer. Was Nahrung für einen gesunden Leib ist, sind Versuchungen für eine tapfere Seele, sie stärken ihre Festigkeit. Eine wasserlose Wolke wird vom Wind weggeweht (vgl. Jud 1, 12), und ein geduldloser Verstand vom Geist der Verzagtheit. Wie der Frühlingstau der Feldfrucht zum Wachstum verhilft, so hebt ein geistliches Wort den Zustand der Seele empor. Der Geist der Verzagtheit treibt den Mönch aus seinem Haus hinaus, wer aber die Geduld hat, wird immer in Schweigen verweilen. Der Verzagte stellt den Krankenbesuch als Vorwand um rauszugehen, in Wirklichkeit will er sein Vorhaben befriedigen. Ein Mönch im Verzagen ist schnell zu Diensten, und stellt die Befriedigung sich selbst zum Gebot. Ein leichter Wind neigt eine schwache Pflanze, und der Gedanke über Reisen zieht den Verzagten mit sich. Wie ein Baum, der starke Wurzeln gefasst hat, nicht durch den Wind geneigt wird, so wird auch das Verzagen nicht eine stark gewordene Seele neigen. Eine Pflanze, die von Ort zu Ort verpflanzt wird, bringt keine Frucht, und ein umherschweifender Mönch bringt keine Frucht der Tugend. Der Kranke gibt sich nicht mit einer Speise zufrieden, und der verzagte Mönch – nicht mit einer Beschäftigung. Dem Lüsternen reicht nicht eine Frau, und dem verzagten Mönch nicht eine Klausur.
Kapitel 14
Die Augen des Verzagten sind ständig auf die Tür gerichtet, und in seinen Gedanken träumt er von Besuchern. Knarrt die Tür – springt er hoch; glaubt er eine Stimme gehört zu haben – schaut er aus dem Fenster hinaus. Wer der Verzagtheit anheimgefallen ist, gähnt oft beim Lesen und wird bald müde. Er reibt sein Gesicht, streckt die Arme, wendet die Augen vom Buch ab und schaut angespannt auf die Wand. Wenn er seine Aufmerksamkeit wieder auf das Buch richtet, liest er ein wenig, wendet die Seiten, betrachtet neugierig die Wortenden, zählt die Seiten, und zum Schluss faltet er das Buch zusammen, legt es unter seinen Kopf und schläft mit einem nicht all zu tiefen Schlaf ein, denn der Hunger bringt schon seine Seele auf und zwingt ihn, sich um sich selbst zu sorgen. Der verzagte Mönch ist faul zum Gebet und spricht manchmal die Gebete nicht aus. Wie ein Kranker nicht mit schwerer Arbeit fertig wird, so wird auch ein Verzagter nicht ein gottgefälliges Werk fleißig verrichten: entweder sind seine körperlichen Kräfte geschwächt, oder die seelischen. Die Verzagtheit wird mit Beständigkeit geheilt, mit der Verrichtung eines jeden Werkes mit aller Aufmerksamkeit und Gottesfurcht. Finde bei jedem Werk dein Maß und lass nicht eher von diesem ab, bis du vollendet hast, was du dir vorgenommen. Bete ebenfalls mit Verstand und inständig, und der Geist der Verzagtheit wird vor dir fliehen.